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Eröffnungsrede zum 7. April 2016 | von Frank Gottsmann

 

Lieber Dieter,

 

als du mich fragtest, ob ich nicht zu deiner Ausstellungseröffnung sprechen wolle, war meine Überlegung nur eine Formale, nämlich ob der heutige Termin für mich passen würde.

 

Wir kennen uns seit vielen Jahren und sind fast genauso lange Ateliernachbarn, uns also auf eine gewisse Weise vertraut.

 

Ich schätze Dieters gestalterische Arbeit und seine Haltung. Da liegt es also nahe, dass ich mich zu einem Anlass, wie dem heutigen, näher mit einer Facette seines Schaffens, nämlich der Leidenschaft zur Fotografie beschäftige.

 

Ich tue das aus dem Blickwinkel des Malers der wissen möchte, wie ein Fotograf mit Fragen umgeht, welche auch mich beschäftigen. Das sind Fragen nach dem Umgang mit Licht, Tonwerten, grafischen Strukturen und der Komposition.

 

Was ist für Dieter Wendland als Fotograf bildwürdig?

 

Seine künstlerische Ausbildung erhielt er in den 1970er Jahren an der Fachschule für Werbung und Gestaltung Berlin-Schöneweide. Das dort erfahrene, solide Grundstudium bildet bis heute die feste Basis seiner Arbeit als Grafik-Designer und Fotograf. Die dort durchlaufene Schule des Sehens ist der, welche ich während meines Studiums in Berlin-Weißensee erfahren habe, durchaus verwandt.

 

Oft sprechen wir beim gemeinsamen Tee über Erlebnisse aus unserer Studienzeit und Dinge die für unsere künstlerische Arbeit bedeutend waren und es bis heute sind, wie Probleme des Bildbaues, der Figur-Grund-Beziehung, der kompositorischen Mittel, wie Linie und Fläche, Farbe und Hell-Dunkel. All diese Regeln sind im Laufe seiner Tätigkeit von der Stufe der bewussten Anwendung hin zur intuitiven, aus dem Unterbewußten kommenden, Anwendung gelangt. Sie sind in all seinen Fotografien sichtbar, ohne das man sofort auf sie stößt und das macht unter anderem auch die Qualität seiner Fotos aus.

 

Dieter hat aus erlernten Regeln seine eigenen, ihm als Person, seinem Charakter, seinem Temperament entsprechende Regeln gemacht. Und das hebt ihn, wie alle ernsthaften Künstler, aus der Masse der dilettierenden Laien heraus.

 

Noch etwas ist bezeichnend für ihn, nämlich seine Gewissenhaftigkeit und Genauigkeit im Umgang mit den technischen Möglichkeiten der, anfänglich natürlich analogen und heute digitalen Fotografie. Welche Kamera wird verwendet, welcher Film, welches Papier, was ist mit dem Korn los, wie weit kann ich helle Partien ausreizen, ohne das sie überrissen werden, wie schwarz kann eine Fläche werden, sodass sie noch Zeichnung behält?

 

Sein hoher gestalterischer und technischer Anspruch an die eigene Arbeit als Fotograf nährt natürlich auch Selbstzweifel, wenn man sich im Kontext anderer Fotografen sieht. Vielleicht ist auch das ein Grund dafür, das Dieter Wendland erst jetzt, nach vielen Jahren des Fotografierens mit seinen Arbeiten an die Öffentlichkeit geht. Er traut sich und ist sich seiner Sache bewusst – und das ist gut so.

 

Eine weitere Frage beschäftigt mich, ich hatte sie am Anfang schon gestellt: Wie kommt ein Fotograf zu Bildfindungen, was ist bildwürdig für ihn?

 

Die Kunst und also auch die künstlerische Fotografie speist sich aus zwei Quellen: der Natur und der Kunst selbst. Für den Fotografen ist das Sehen, die Anschauung der ihn umgebenden Welt existentiell, mehr vielleicht noch als für einen Maler. Ich kann mir als Maler, wenn ich es nicht auf das Abbilden anlege, die Welt aus Versatzstücken von Realität nach meinem Gusto immer wieder neu zusammenbauen. Der Fotograf, zumal so einer wie Dieter Wendland, kann das so nicht. Er macht durch seine Art zu sehen Dinge sichtbar, die für andere ver- borgen bleiben. Dies tut er, da nichts voneinander losgelöst betrachtet werden kann, natürlich im Kontext der Kunstgeschichte.

 

Für Dieter Wendland sind es Vertreter der klassischen Moderne aus dem fotografischen Olymp wie Max Baur, Albert Renger-Patsch, Chargesheimer, Josef Sudek, Lee Friedlander oder Anselm Adams, denen er sich wesensverwandt fühlt und die etwas in ihm zum Klingen bringen. An Ihnen hat er den eigenen Blick geschult und seine ganz persönliche Bildsprache entwickelt.

 

Dieter scheint nach dem Prinzip eines beliebten Kinderspieles zu arbeiten, das jeder von uns kennt – ich sehe was, was du nicht siehst und das ist … bei ihm weder rot noch grün sondern es sind die kleinen, scheinbar unbedeutenden Dinge, an denen viele von uns achtlos vorbei gehen. Indem er sie ins Bild setzt, verleiht er ihnen Bedeutung und Würde. Er tut dies hier in dieser Ausstellung im abstrakten Schwarz-Weiß, das ihm erlaubt zur Essenz des Gegenstandes vorzudringen. Man schaue sich nur das Fragment einer eisernen Treppe am Strand oder das über und über von Schuppen belegte Gerät von Fischern oder die grafischen Strukturen von Marmorsteinbrüchen an. Strukturen interessieren ihn, er ist ja Grafiker, natürlich besonders. Dabei gelingen ihm durch zunehmende Reduktion der Bildelemente besonders beeindruckende Findungen. Augen auf! – scheint er uns zuzurufen.

 

In diesem Zusammenhang erinnere ich mich an einen Satz des amerikanischen Malers und Fotografen Ellsworth Kelly, den er in einem Gespräch mit einem Journalisten geäußert hat, welches ich vor ein paar Tagen gelesen habe:
»… alles sei schon da, man müsse nur schauen.«